Schnell ein paar Fotos und Grüße per WhatsApp verschicken, bei Instagram Herzen und Kommentare verteilen und unterwegs die Mails checken. Handy, Laptop und Apps sind aus unserem Alltag kaum wegzudenken – machen sie doch Vieles einfacher. Doch auch die Zeit, die wir vor unseren Bildschirmen verbringen, hat ihren Preis und Technologien verschaffen uns – all ihren Vorzügen zum Trotz – nicht nur Freiheiten und unbegrenzte Möglichkeiten.
Für mich endet nur kurz mal Instagram checken nicht selten in endlosem Doomscrolling und der ständige Griff zum Handy gleicht bereits eher einem Reflex als einer bewussten Entscheidung. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher, ob die so pausenlos auf mich einprasselnden Nachrichten, Infos, Impressionen oder Gedanken für mich wirklich eine Bereicherung oder doch eher eine zunehmende Belastung darstellen. Eine gewisse innere Unruhe und das ständige Gefühl, nicht genug Zeit zu haben, breiten sich auch in meinem Alltag immer weiter aus.
Sich der oft praktischen, manchmal aber eben auch ermüdenden Schnelllebigkeit und ständigen Erreichbarkeit zu entziehen, wird zumindest für mich zunehmend schwieriger. Selbst wenn ich versuche, sie zeitweise zu ignorieren, scheinen Handy, Laptop und Tablet rastlose Wesen zu sein. Folglich habe auch ich in den vergangen Jahren mehr und mehr verlernt, mich wirklich auszuruhen – und das eben auch zu Lasten meines Wohlbefindens.
Was ist digitaler Minimalismus (nicht)
Während es mir in vielen Bereichen gelungen ist, mein Leben bewusster zu gestalten, ist mein Umgang mit Handy und digitalen Medien eher von Maßlosigkeit als Minimalismus geprägt. Trotz aller Achtsamkeit gelingt es mir eben nicht, der digitalen Erschöpfung erfolgreich zu entkommen. Immer häufiger drängt sich mir die Frage auf, warum ich mich meiner Screentime so ausgeliefert fühle und trotz aller vorhanden Erkenntnis und Einsicht nahezu erfolglos dabei bleibe, sie zu reduzieren?
Digitaler Minimalismus vs. Digital Detox
Digital Detox und Social-Media-Pausen können mir dabei helfen, Abstand zum digitalen Alltag zu gewinnen und endlich wieder zu entspannen. Die positiven Effekte des Medien-Entzugs halten bei mir meist aber nur kurzfristig und bringen keine nachhaltigen Veränderungen mit sich. Einen Tag, eine Woche oder einen Monat zu verzichten, zeigt meist eben nur für einen begrenzten Zeitraum positive Wirkung.
Wollen wir Technologien bewusster einsetzen, gilt es, Gewohnheiten zu hinterfragen, Handy, Apps und Co. auf Nutzen und Sinn zu überprüfen sowie unser Nutzungsverhalten entsprechend anzupassen, um von diesen Veränderungen auch langfristig profitieren zu können. Wie aber kann ich in meinem Alltag nachhaltig einen bewussten Umgang mit digitalen Medien etablieren?
Digitaler Minimalismus – geht das?
Einige für mich ebenso aufschlussreiche wie wertvolle Antworten hält Cal Newport bereit. In seinem 2019 erschienen Buch Digitaler Minimalismus beschreibt er, wie Handy, Apps und Websites ebenso erfolgreich wie pausenlos um unsere Aufmerksamkeit buhlen, dabei unsere Stimmung beeinflussen und es uns so immer schwerer fällt, ungehindert zu entscheiden, wie und womit wir einen Großteil unserer freien Zeit verbringen. Schließlich sei es kein Zufall, dass wir uns unseren Screens oft nur schwer entziehen können, denn unsere Aufmerksamkeit und Interaktion sind für Technologiekonzerne und immer mehr Unternehmen zur Währung geworden.
Newport geht es beim digitalen Minimalismus aber nicht darum, Technologien zu verteufeln, das Smartphone in die Ecke zu werfen und zu guten alten (=analogen) Zeiten zurückzukehren. Ohne den Nutzen und Wert digitaler Tools zu missachten, geht es beim digitalen Minimalismus viel mehr darum, die Vorzüge neuer Technologien möglichst sinnvoll für uns zu nutzen, ohne dabei ihren unerwünschten Nebenwirkungen – Doomscrolling, Erschöpfung, Überforderung – zum Opfer zu fallen.
Wie funktioniert digitaler Minimalismus?
Weil mir persönlich genau diese Nebenwirkungen in meinem eigenen Alltag schon länger Unbehagen bereiten und die Reflexion meiner digitalen Aktivitäten einer meiner Intentionen für dieses Jahr entspricht, ist Cal Newports Philosophie ein willkommener Leitfaden für mich geworden.
Um digitalen Minimalismus in den eigenen Alltag zu integrieren, schlägt er zwei wesentliche Schritte vor, die auch ich gerade versuche umzusetzen:
Zunächst empfiehlt er, digital auszumisten – also nur die Technologien zu nutzen, die notwendig und gewinnbringend für uns sind – und anschließend einen nachhaltigen digitalen Minimalismus zu kultivieren, indem wir maß- und anspruchslosen Konsum digitaler Medien durch Sinn stiftende Freizeitaktivitäten ersetzen.
Ziel des digitalen Minimalismus ist es, Autonomie – vor allem wenn es darum geht zu entscheiden wie und wohin wir unsere Aufmerksamkeit richten – zurückzuerlangen und das eigene Leben so bewusster zu gestalten. Doch was genau bedeutet digitale Entrümpelung und wie verbringen wir unsere freie Zeit so, dass sie uns erfüllt und damit unsere Lebensqualität tatsächlich steigert?
1. Digital Declutter – Definiere Optionale und Notwendige Technologien
Wie beim Ausmisten des Kleiderschranks steht auch bei der digitalen Entrümpelung zunächst eine Bestandsaufnahme an. Statt sich lediglich einen Überblick zu verschaffen, wie und welche Technologien wir nutzen (gemeint sind hier neue Technologien wie Apps, Websites, Handys oder auch der Fernseher – nicht aber Digitalkameras, die elektrische Zahnbürste oder der Ofen), geht es auch darum sich zu fragen, welche digitalen Aktivitäten dabei nur optional sind. Denn von genau diesen sollen wir im nächsten Schritt eine 30-tägige Pause einlegen.
Zunächst gilt es also, zu differenzieren welche Technologien optional und welche absolut notwendig sind, um dann individuelle Nutzungsregeln zu definieren. Die sehen bei jedem:jeder von uns natürlich anders aus. Als Online-Unternehmerin ist es für mich unmöglich, auf das Abrufen meiner E-Mails zu verzichten. Eine Pause von sozialen Medien wie Facebook oder Instagram ist für mich und mein Business aber kein Problem. Für eine:n Social-Media-Manger:in kann das hingegen ganz anders aussehen.
Wichtig bei der Differenzierung ist nicht praktisch mit notwendig zu verwechseln. Grundsätzlich gilt eine Technologie als optional, so lange ihre vorübergehende Entfernung nicht unseren persönlichen oder beruflichen Alltagsabläufen schadet. Da es hier natürlich Grauzonen gibt, ist es ratsam, individuelle Nutzungsregeln zu definieren, also zu spezifizieren wie und wann wir bestimmte Technologien nutzen. Für mich persönlich ist das vor allem WhatsApp, denn oft ist es einfach nur bequemer, schnell eine Nachricht zu versenden statt ein kurzes Telefonat zu führen. Einzelne, vor allem internationale Kontakte erreiche ich hingegeben aber nur auf diesem Kommunikationsweg.
2. 30 Tage Pause
Digital Detox reicht zwar nicht aus, um nachhaltig vom digitalen Minimalismus zu profitieren, dennoch ist ein zeitlich begrenzter Entzug wichtig, um den nötigen Abstand zu gewinnen, der ein kritisches Hinterfragen unserer Gewohnheiten überhaupt erst ermöglicht. Meine 30-tägige Pause und die Nutzungsregeln meiner Technologien habe ich auszugsweise wie folgt gestaltet:
- Instagram / Facebook / LinkedIn / Pinterest: Uneingeschränkte Pause (Apps vorübergehend gelöscht)
- E-Mails + Outlook: 2x täglich am Laptop checken (morgens und nachmittags)
- WhatsApp und Messenger-Apps: Pause (WhatsApp), iMessage für internationale Kommunikation erlaubt
- Handy + Apps: Erlaubt sind Telefonate, Google Maps, Wetter App, Zyklus-App, Wecker und Timer, iMessage, Kalender, Notizen
- Laptop + Internet: Nutzungszeit von 9 bis 18 Uhr
- Podcasts: Nur während Autofahrten oder beim Kochen
- Vinted & Co + Online-Shops: Uneingeschränkte Pause
Während dieser Pause habe ich plötzlich wieder viel mehr Zeit für Dinge, die mir echte Entspannung und tiefe Zufriedenheit bringen und eine ganze Weile viel zu kurz gekommen sind. Ich lese mehr, telefoniere statt endlose Textnachrichten zu tippen und habe Zeit kreativ zu sein. Während der Pause geht es vor allem auch darum, Aktivitäten wiederzuentdecken, die Erfüllung schenken und uns helfen, ein zufriedeneres Leben zu führen, in dem Technologien lediglich eine unterstützende Funktion übernehmen.
3. Optionale Technologien zurück in unseren alltag bringen
Haben wir für uns persönlich definiert, welche digitalen Medien absolut notwendig sind, können wir am Ende der 30-tägigen Pause optionale Technologien selektiv und bewusst wieder in unseren Alltag einbeziehen. Auch hier liegt ein wesentlicher Unterschied des digitalen Minimalismus zum zeitlich begrenzten Digital Detox. Ich möchte nicht einfach zum Status Quo zurückkehren, sondern mein Verhalten nachhaltig verändern, um auch langfristig vom digitalen Minimalismus profitieren zu können.
Bevor optionale Technologien zurück in unseren Alltag dürfen, sollten wir sicherstellen, dass sie uns wirklich nutzen und klar definieren, wie sie das tun. Newport empfiehlt, jede einzelne Technologie gründlich zu überprüfen und schlägt dazu die folgenden drei Fragen vor:
- Unterstützt die Technologie etwas, das mir einen tiefen Mehrwert schenkt? Irgendein unspezifischer Nutzen ist nicht genug.
- Ist dieses digitale Tool das beste Mittel, um diesen Zweck zu erfüllen? Wenn nicht, sollte es durch etwas Besseres ersetzt werden.
- Wie nutze ich die Technologie zukünftig so, dass ihr Wert maximiert, die Nachteile aber möglichst gering gehalten werden? Oder kurz: Wann und wie werde ich diese Technologie zukünftig nutzen?
So steigert digitaler Minimalismus die Lebensqualität
Digitaler Minimalismus kann sich in unserem Alltag nur dann nachhaltig etablieren, wenn wir sinnlose Technologien nicht nur meiden, sondern diese auch durch Aktivitäten ersetzen, die uns erfüllen. Letztlich ist es sinnvoll verbrachte (Frei)zeit, die unsere Lebensqualität steigert. Newport gibt in seinem Buch eine ganze Liste an Ideen, Übungen und praktischen Beispielen, wie wir eben diese Zeit bewusst und erfüllend gestalten.
Zwei Aspekte haben mich in diesem Zusammenhang besonders angesprochen und beschäftigt:
mit den eigenen gedanken allein sein
Wie oft verlassen wir das Haus ohne unser Handy oder warten auf den Bus ohne Kopfhörer im Ohr? Ständig umgeben von Nachrichten, Bildern, Gesprächen oder Geschichten sind wir nie wirklich allein, denn unser Kopf ist selten frei von äußerem Input.
Um wirklich zu entspannen, nachzudenken und letztlich auch zu uns selbst zu finden, ist das Alleinsein mit unseren Gedanken aber unverzichtbar. Und genau das sollten wir wieder viel häufiger praktizieren. Alleinsein bedeutet dabei nicht, sich von anderen Menschen zu isolieren. Es geht dabei weniger um die Umgebung, als viel mehr um das, was in unserem Kopf passiert, sobald unsere Gedanken frei von den Gedanken anderer sind. Mit unseren eigenen Gedanken allein sein können wir demnach in einem belebten Café ebenso gut, wie zurückgezogen in der Natur.
Bei all den Vorteilen digitaler Vernetzung ist es wichtig, eine Balance zwischen der ständigen Konnektivität und dem Alleinsein zu finden. Das Handy einfach mal Zuhause lassen, lange Spaziergänge (ganz ohne Podcasts), Journaling und Gedanken zu Papier bringen sind Übungen, die eben diese Balance herstellen können.
Dumb Down your phone
An der Supermarktkasse bezahlen, Arzttermine buchen und an Termine erinnert werden – mittlerweile gibt es wohl kaum noch etwas, was Laptop, Tablet und Handy nicht können. Während all diese Funktionen wahnsinnig praktisch sind, sorgen sie gleichzeitig dafür, dass Technologien unverzichtbar für uns werden. Unter Umständen gewinnen wir so eben nicht nur Komfort und Zeit, sondern verlieren auch einen Teil unserer Unabhängigkeit von den smarten Tools.
Auch wenn es praktisch ist, nicht nur am Laptop sondern auch am Tablet oder Handy im Internet zu surfen, Nachrichten zu verfolgen oder Überweisungen zu tätigen, bedeutet das leider nicht, dass dieser Mehrzweck unsere Produktivität steigert. Für die meisten von uns ist wohl eher das Gegenteil der Fall. Erlauben wir uns überall und zu jeder Zeit Zugang zu allen uns zur Verfügung stehenden digitalen Tools, steigert das vor allem den Verlust unserer Aufmerksamkeit.
Entgegenwirken können wir dem, indem wir bestimmte Dienste oder Tools nur eingeschränkt zugänglich machen. So können wir beispielsweise Mails ausschließlich über unseren Laptop abrufen, Nachrichten nur zu einer bestimmten Tageszeit einsehen oder bestimmte Websites während unserer Arbeitszeit blockieren. Wie genau wir diese Bedingungen für uns definieren, hängt ganz von unseren individuellen Bedürfnissen ab. Wollen wir produktiver arbeiten und uns von digitalen Technologien unabhängiger machen, ist es grundsätzlich ratsam, unseren Allzweckgeräten einen konkreten Nutzen zuzuordnen.
Digitaler Minimalismus ist ein Prozess
Unsere Zeit und Aufmerksamkeit sind wertvoll. Das haben Technologiekonzerne vielleicht deutlich besser und vor allem schneller verstanden als wir selbst. Technische Innovationen in unserem Alltag optimal und damit vor allem ohne unerwünschte Nebenwirkungen zu nutzen, verlangt demnach Arbeit und bedeutet, dass wir uns bewusst mit ihrer Rolle in unserem Alltag auseinandersetzen müssen.
Ich schätze die digitalen Tools in meinem Alltag ungemein und doch leide ich an vielen Stellen unter ihren Nebenwirkungen. Für mich scheint digitaler Minimalismus ein vielversprechendes Konzept zu sein, das ich zukünftig unbedingt weiter in meinen Alltag integrieren möchte.
Wie groß diese Herausforderung letztendlich ist, erlebe ich schon während meiner 30-tägigen Technologie-Pause. Nicht alle von mir definierten Regeln konnte ich zu jeder Zeit konsequent einhalten und doch ist mein Umgang mit Handy, Apps und digitalen Tools bewusster geworden. Gleichzeitig verstehe ich das digitale Ausmisten als Prozess, der nun vermutlich ebenso konstant zu meinem Alltag gehören wird, wie all die uns umgebenden digitalen Neuerungen.